Gesellschaftsrecht

Europäisches Parlament billigt EU Listing Act

wesentliche MAR-Neuregelungen

Das Europäische Parlament und der Europäische Rat haben am 29. Januar 2024 eine vorläufige Einigung über den sogenannten „EU Listing Act“ erzielt, den das Europäische Parlament am 24. April 2024 gebilligt hat. Der EU Listing Act ist ein Maßnahmenpaket mit dem Ziel, die Attraktivität der EU-Kapitalmärkte zu steigern und den Aufwand und die Kosten einer Börsennotierung zu senken. Er setzt sich aus mehreren Rechtsakten zusammen. Insbesondere enthält der EU Listing Act eine Verordnung zur Änderung der Marktmissbrauchsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 596/2014, „MAR“).

Im Folgenden möchten wir Ihnen einen Überblick über die wesentlichen MAR-Neuregelungen geben:

Keine Veröffentlichungspflicht von Zwischenschritten, Art. 17 Abs. 1 MAR

Nach geltender Rechtslage können Zwischenschritte eines zeitlich gestreckten Sachverhalts, z.B. Abschluss Due Diligence oder Abgabe eines Non-Binding Offer im M&A-Prozess, veröffentlichungspflichtige Insiderinformation sein. Dabei können sie ihre Kurserheblichkeit von einem zukünftigen Endereignis (z.B. dem Signing der Transaktion) ableiten. Ein Zwischenschritt kann gemäß Art. 7 Abs. 3 MAR aber auch eine Insiderinformation sein, wenn er isoliert betrachtet die Kriterien für Insiderinformationen erfüllt.

Nach der Neufassung von Art. 17 Abs. 1 MAR sollen insiderrelevante Zwischenschritte künftig von der Veröffentlichungspflicht ausgenommen werden. Veröffentlichungspflichtig sollen danach ausschließlich der letzte Umstand bzw. das letzte Ereignis sein. Der Wortlaut stellt dabei auf den Eintritt (in der englischen Fassung „occurred“) des letzten Umstands bzw. des letzten Ereignisses ab. Die Erwägungsgründe nennen beispielhaft den Fall eines Unternehmenszusammenschlusses, der offenzulegen ist, sobald eine Einigung über den wesentlichen Vertragsinhalt erzielt wurde und die Unternehmensleitung den Beschluss gefasst hat, den Vertrag zu unterzeichnen.

Eine Änderung der Kriterien, wann eine Insiderinformation vorliegt, soll hiermit allerdings nicht verbunden sein. Zwischenschritte können daher auch zukünftig Insiderinformationen sein, die aber anders als sonstige Insiderinformationen nicht unverzüglich veröffentlicht werden müssen. Eine insiderrechtliche Prüfung von Zwischenschritten in gestreckten Sachverhalten kann also nicht entfallen, da insiderrelevante Zwischenschritte wie sonstige Insiderinformationen die Insiderhandels- und Offenlegungsverbote sowie die Pflicht des Emittenten auslösen, eine Insiderliste anzulegen.

Eine Insiderinformation in gestreckten Sachverhalten muss jedoch vor Veröffentlichung des Endereignisses veröffentlicht werden, wenn die Vertraulichkeit der Information nicht mehr gewährleistet ist (Art. 17 Abs. 7 MAR nF). Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein hinreichend präzises Gerücht aufkommt. Die Bestimmung, wann ein Gerücht hinreichend präzise ist, hat sich hingegen nicht geändert. Es wird weiterhin darauf ankommen, ob das Gerücht einen wahren Tatsachenkern enthält und einen konkreten Bezug zu der Insiderinformation hat, unabhängig davon, aus welcher Sphäre das Gerücht stammt. Gerüchte können also unabhängig von einer vorangehenden Aufschubentscheidung eine Ad Hoc-Veröffentlichungspflicht auslösen.

Die Europäische Kommission wird ermächtigt, durch delegierten Rechtsakt eine nicht abschließende Liste zu veröffentlichen, die veröffentlichungspflichtige Endereignisse im Rahmen von zeitlich gestreckten Sachverhalten benennt. Ziel dieser Liste ist, die Bestimmung des Veröffentlichungszeitpunkts für den Rechtsanwender zu erleichtern und damit die Rechtssicherheit zu erhöhen.

Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen, Art. 17 Abs. 4 MAR

Nach bisheriger Rechtslage ist ein Aufschub der Veröffentlichung immer dann möglich, wenn dieser (i) im berechtigten Interesse des Emittenten liegt, (ii) die Vertraulichkeit sichergestellt ist und (iii) der Aufschub nicht geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen. 

Das abstrakte Kriterium der „Irreführungsmöglichkeit“ soll künftig durch konkretere Anforderungen ersetzt werden. Hiernach soll die Aufschubentscheidung voraussetzen, dass die Insiderinformation nicht im Widerspruch zu der letzten öffentlichen Bekanntmachung oder einer anderen Art von Kommunikation des Emittenten zu derselben Angelegenheit steht, auf die sich die Insiderinformation bezieht. Die Kommission wird auch hier ermächtigt, eine nicht abschließende Liste von Situationen zu veröffentlichen, bei denen ein solcher Widerspruch vorliegen soll.

Nicht aufgenommen wurde der Vorschlag aus dem Kommissionsentwurf vom 7. Dezember 2022, wonach der Emittent bereits die Absicht, die Veröffentlichung von Insiderinformationen aufzuschieben, gegenüber der zuständigen Behörde (in Deutschland der BaFin) offenlegen und die Begründung für den Aufschub unmittelbar nach der Entscheidung übermitteln sollte. Vielmehr soll es auch zukünftig dabei bleiben, dass die zuständige Behörde erst unmittelbar nach der Offenlegung der Insiderinformation über den Aufschub zu informieren ist. 

Die Mitgliedstaaten können zudem vorsehen, dass die Begründung der Aufschubentscheidung nur nach Aufforderung durch die zuständige Behörde übermittelt werden muss. Emittenten mit Finanzinstrumenten an einem KMU-Wachstumsmarkt sollen dagegen nur auf Anfrage eine Begründung übermitteln müssen.

Managers´ Transactions, Art. 19 MAR

Bei den Regelungen zu Managers´ Transactions ist eine Anhebung des Schwellenwerts vorgesehen. Eine Meldung muss zukünftig erst ab einem Schwellenwert von EUR 20.000 pro Kalenderjahr (bisher EUR 5.000) erfolgen. Die zuständige nationale Behörde wird außerdem zur wahlweisen Anhebung des Schwellenwerts auf EUR 50.000 oder Absenkung auf EUR 10.000 ermächtigt. Die BaFin hatte schon zuletzt von ihrer Ermächtigung in Art. 19 Abs. 9 MAR Gebrauch gemacht, und den Schwellenwert von EUR 5.000 auf EUR 20.000 angehoben.

Daneben soll der Katalog der Ausnahmeregelungen zum Handelsverbot während einer „Closed Period“ erweitert werden. Die bereits bestehenden Ausnahmetatbestände sollen künftig auch für andere Finanzinstrumente als Aktien gelten. Neu eingefügt wurde außerdem eine Regelung, nach der Geschäfte zulässig sind, bei denen die Führungskraft keine aktive Anlageentscheidung trifft. Das ist zum Beispiel bei der Annahme von Erbschaften, Schenkungen oder Spenden sowie bei der Nutzung von Optionen, Termingeschäften oder anderen Derivaten, die außerhalb der Closed Period vereinbart wurden, der Fall. Daneben sollen auch Anlageentscheidungen, die ausschließlich auf externen Faktoren oder Handlungen Dritter beruhen, sowie Geschäfte oder Handelstätigkeiten, einschließlich der Ausübung von Derivaten, die zu vorher festgelegten Bedingungen erfolgen, zulässig sein.

Aktienrückkaufprogramme

Administrative Erleichterungen soll es auch für Aktienrückkaufprogramme geben. Aktienrückkaufprogramme müssen zukünftig nur der zuständigen Behörde des Marktes gemeldet werden, der für die Liquidität der Aktien am wichtigsten ist. Darüber hinaus müssen Emittenten gegenüber der Öffentlichkeit nur noch aggregierte Informationen veröffentlichen. Gegenüber der Behörde bleibt die Übermittlung von Einzelmeldungen dagegen wohl weiterhin erforderlich.

Sanktionen

Bei den Sanktionen wird es zukünftig Mindestgrenzen gemessen am Jahresumsatz geben. So ist bei der Verletzung der Ad Hoc-Veröffentlichungspflicht ein Bußgeld von 2 % des letzten verfügbaren Jahresumsatzes vorgesehen. Im Ausnahmefall, wenn der Umsatzanteil unverhältnismäßig niedrig wäre, soll ein Bußgeld von mindestens EUR 2,5 Mio. gelten. Für Verstöße gegen die Meldepflicht von Managers‘ Transactions und die Führung von Insiderlisten liegt das Bußgeld mindestens bei 0,8 % des letzten verfügbaren Jahresumsatzes, im Ausnahmefall bei unverhältnismäßig geringen Umsätzen bei mindestens EUR 1 Mio. Für KMU sollen geringere Mindestbußgelder von EUR 1 Mio. bei Verstößen gegen die Ad Hoc- Veröffentlichungspflicht bzw. EUR 400.000 für Verstöße gegen die Meldepflicht von Managers‘ Transactions gelten.

Bewertung

Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang die geplanten Änderungen tatsächlich dem Ziel gerecht werden, Folgeaufwand und Folgekosten einer Börsennotierung zu senken.

Infolge der Änderung zur Veröffentlichungspflicht von Zwischenschritten wird der bisher bestehende Gleichlauf zwischen Insiderhandels- und Offenlegungsverbot einerseits und Ad hoc-Veröffentlichungspflicht andererseits aufgehoben. In Zukunft muss zwischen Insiderinformationen unterschieden werden, die nur dem Insiderhandels- und Offenlegungsverbot unterliegen, und solchen, die zusätzlich veröffentlichungspflichtig sind. Eine solche Aufspaltung wurde bereits 2011 im Gesetzgebungsverfahren zur MAR diskutiert (so genannte „Insiderinformation light“). Damals wurde der Ansatz allerdings noch verworfen.

Für die Praxis wird vor allem die Frage Schwierigkeiten bereiten, welcher Prozessschritt der zu veröffentlichende letzte Umstand bzw. das letzte Ereignis ist. In dem immer wieder plakativ diskutierten Fall einer M&A-Transaktion mag die Frage verhältnismäßig einfach zu beantworten sein, wenn auf die Ausfertigung der wesentlichen Verträge abgestellt wird. Eine solche „idealtypische“ Abgrenzung ist in der Praxis aber nur eines von vielen Beispielen für gestreckte Sachverhalte. In komplexen Prozessen, die sich über lange Zeiträume erstrecken, wie z.B. (Konzern-)Umstrukturierungen, kann das „letzte Ereignis“ Jahre in der Zukunft liegen. Zudem ist unklar, wem es in solchen Fällen obliegen soll, das relevante „letzte Ereignis“ rechtssicher zu definieren. Inwieweit eine durch delegierten Rechtsakt der Kommission zu veröffentlichende Liste für Rechtssicherheit sorgen kann, wird unter anderem davon abhängen, wie konkret und detailliert diese Liste sein wird. Da die BaFin weiterhin zur Prüfung einer Veröffentlichungspflicht im Einzelfall berechtigt ist, bleibt der tatsächliche praktische Nutzen der Liste abzuwarten. Für die deutsche Praxis wird die Positionierung der BaFin zu dieser Frage von großem Interesse sein.

Fragen wirft die in der englischen Sprachfassung gewählte Formulierung „occurred“ (im deutschen übersetzt mit „Eintreten“) auf. Bei wortlautgetreuer Auslegung wäre das Ergebnis, dass es zukünftig auf den tatsächlichen Eintritt des letzten Umstands bzw. des letzten Ereignisses und nicht mehr (wie bislang) auf dessen überwiegende Wahrscheinlichkeit ankommen soll. Unseres Erachtens ist fraglich, ob der europäische Gesetzgeber mit dieser Formulierung tatsächlich das Tatbestandsmerkmal der überwiegenden Wahrscheinlichkeit aufgeben will. Für eine gewisse Vorverlagerung und Wahrscheinlichkeitsbetrachtung spricht, dass nach den Erwägungsgründen bei Informationen über Vertragsabschlüsse das letzte Ereignis grundsätzlich als eingetreten gelten soll, wenn eine Einigung über die „Kernbedingungen“ erzielt wurde (und nicht erst, wenn der Vertrag unterzeichnet wurde).

Begrüßenswert ist die Konkretisierung des abstrakten Kriteriums der Irreführungsmöglichkeit bei Aufschubentscheidungen. Auch die Anhebung des Schwellenwerts für Managers‘ Transactions und die reduzierten Transparenzpflichten bei Aktienrückkaufprogrammen dürften zu Erleichterungen für Emittenten führen.

Ausblick

Der Europäische Rat muss den EU Listing Act förmlich annehmen. Im Fall der Annahme tritt er am zwanzigsten Tag nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft. Die Änderungen zur Ad-Hoc-Publizitätspflicht sollen erst 18 Monate nach Inkrafttreten des EU Listing Act anwendbar sein.

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